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Menschenrechte - wie der Islam sie versteht

Wenn in einem islamischen Land Christen und andere Nicht-Muslime wegen ihres Glaubens verfolgt werden oder zum Christentum übergetretene Muslime mit der Todesstrafe bedroht werden, klagt die Presse im Westen an, dass in den islamischen Ländern gegen die Menschenrechte verstoßen werde. Gleichzeitig haben fast alle islamischen Länder Menschenrechtserklärungen unterzeichnet, wie zum Beispiel die „Allgemeine Menschenrechtserklärung“ der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1948 [1].

Menschenrechte und Sharia

Einige islamische Organisationen haben in den vergangenen Jahrzehnten sogar selbst Menschenrechtserklärungen formuliert. Sie unterscheiden sich allerdings insofern grundsätzlich von Menschenrechtserklärungen westlicher Länder, als dass sie dem Koran und dem islamischen Gesetz (der Sharia) vor der Gewährung aller Menschenrechte stets den höheren Rang einräumen. Menschenrechte können daher in islamischen Ländern eigentlich nur im Rahmen der im Koran und dem islamischen Gesetz festgelegten Gebote gewährt und eingefordert werden. Artikel 24 der Kairoer Erklärung der Menschenrechte von 1990 formuliert etwa: „Alle Rechte und Freiheiten, die in dieser Erklärung genannt wurden, unterstehen der islamischen Sharî'a“ [also dem islamischen Gesetz], und Artikel 25 ergänzt: „Die islamische Sharî'a ist die einzige zuständige Quelle für die Auslegung oder Erklärung jedes einzelnen Artikels dieser Erklärung“. Diese betont die „historische Rolle der islamischen Umma“ [der weltweiten Gemeinschaft aller Muslime], „die von Gott als die beste Nation geschaffen wurde und die der Menschheit eine universale und wohlausgewogene Zivilisation gebracht hat, in der zwischen dem Leben hier auf Erden und dem Jenseits Harmonie besteht und in der Wissen mit Glauben einhergeht“ [2].

Was bedeutet diese Höherordnung von Koran und islamischem Gesetz (Sharia)? Sie bedeutet, dass in islamischen Ländern Menschenrechte an sich, losgelöst von den religiösen Werten der islamischen Offenbarung, tatsächlich nicht existieren. Innerhalb des vom Koran und vom islamischen Gesetz gesteckten Rahmens können sie jedoch gewährt werden. Dem säkularisierten Westler, geprägt von Aufklärung und der Trennung von Kirche und Staat, fällt es entsprechend schwer, nachzuvollziehen, dass in einem Land die Richtlinien für Politik, Wirtschaft und das private und öffentliche gesellschaftliche Leben stark vom Islam und seinen Werten bestimmt werden.

Menschen-Rechte oder Pflichten?

Deshalb sind islamische Apologeten (Verteidiger ihres Glaubens) in der Regel der Auffassung, dass in erster Linie Gott Rechte gegenüber den Menschen, der Mensch jedoch Pflichten gegenüber Gott zu erfüllen habe. Der Mensch hat z. B. die Pflicht, sich Gott und seinem Willen zu unterwerfen und die fünf Säulen des Islam zu erfüllen (Bekenntnis, fünfmal tägliches Gebet, Fasten im Ramadan, Almosen, Wallfahrt nach Mekka).

Menschenrechte für Muslime und Nichtmuslime

Im Islam existierte von seiner Entstehungszeit an keine Trennung zwischen Religion und Staat bzw. Politik und Religion, während etwa im Alten Testament bereits eine gewisse Trennung zwischen Kirche und Staat, zwischen dem Amt des Königs und des Hohepriesters bestand. Die Einheit von Politik und Religion existierte im Islam schon bei Muhammad im 7. Jahrhundert n. Chr., der selbst gleichzeitig religiöser wie politischer Führer der ersten muslimischen Gemeinde war. Auch seine unmittelbaren Nachfolger (Kalifen) vereinigten beide Ämter in einer Person.

Der Islam ist in vielen islamischen Staaten Staatsreligion, von der angenommen wird, dass entweder jeder Staatsbürger oder doch die meisten ihr anhängen. Im islamischen Staat ist „die Religion das staatsbildende Prinzip. Der Staat ist Träger einer religiösen Idee und damit selbst eine religiöse Institution ... Ihm obliegt die Sorge für die Gottesverehrung, die religiöse Unterweisung und die Glaubensverbreitung“ [3]. Grundsätzlich muß daher unterschieden werden zwischen Menschenrechten für Muslime und Nichtmuslime: Muslime verhalten sich durch ihren Glauben staatsloyal und können unter dem Dach ihrer Religion den vollen Schutz ihres Staates genießen. Nichtmuslime dagegen sind durch ihren ‚Unglauben’ dem islamischen Staat gegenüber nicht loyal und können daher diesen Schutz nicht unter allen Umständen in vollem Umfang beanspruchen. So besitzen Muslime in einem islamischen Land im Vergleich mit Nichtmuslimen stets umfangreichere Bürgerrechte. So darf zum Beispiel in der Regel ein Muslim nicht von einem Nichtmuslim beerbt werden, sondern nur von einem Muslim.

Religionswechsel als Staatsverrat

Muslim zu sein bedeutet also, ein mit allen Rechten versehener Staatsbürger zu sein. Wer dem Islam nicht anhängt, weil er von ihm abgefallen ist, begeht Staats- oder Hochverrat, denn der Islam ist „Bestandteil der Grundordnung des Staates“ [4]. Wenn ein Muslim seinem Glauben abschwört, greift er diese Grundordnung an und gefährdet die Sicherheit und die „Stabilität der Gesellschaft, der er angehört“ [5]. Martin Forstner faßt zusammen: „Nur wer an Gott und an den geoffenbarten Koran glaubt und die Scharia befolgt, ist fähig, Bürgerkompetenz zu entwickeln, während der Gottlose als Feind der Gesellschaft gilt. Die immer wieder verlangte religiöse Bekenntnispflicht – durch die Erfüllung der täglichen fünf Gebete, des Fastens im Monat Ramadan ... – ist Mittel der Beförderung der staatsbürgerlichen Moral, weshalb denn im islamischen Staat die volle Bürgerrechtsfähigkeit an das Bekenntnis zum wahren Glauben gekoppelt ist“ [6].

Aufgrund dieser ‚Wächterfunktion’ des Staates über die Religion seiner Bürger kann daher, sofern das islamische Gesetz strikt ausgelegt wird, trotz der Formulierung von Menschenrechtserklärungen bei Abfall eines Muslims vom Islam niemals den Menschenrechten (z. B. bei Glaubenswechsel) vor dem islamischen Gesetz der Vorrang eingeräumt werden. Wo ein Muslim – aus muslimischer Sicht – Hochverrat an seinem Staat begeht, muß das religiöse Gesetz vor allen Menschenrechtserklärungen befolgt werden, und das verlangt die Bestrafung des Abtrünnigen mit dem Tod. Umgekehrt kann der Nichtmuslim in einem islamischen Staat nur die Menschenrechte genießen, die ihm der Koran und das islamische Gesetz einräumen (wie z. B. die eingeschränkte Glaubensausübung).

Als Christen müssen wir uns darüber klar sein, dass für einen Muslim sein Religionswechsel (z. B. sein Übertritt zum christlichen Glauben) weder von seiner Familie, noch seinem Umfeld oder seiner Herkunftskultur als Privatangelegenheit betrachtet werden wird, sondern immer auch als ein öffentlicher, ja politischer Akt. Deshalb wird sich der Hauptvorwurf gegen den Konvertiten – außer der Verzweiflung über die familiär empfundene Schande – auf der Ebene des ‚Verrats an Volk und Vaterland’ bewegen. Die Einsicht in diesen Sachverhalt fordert Christen im In- und Ausland zum intensiven Gebet und wo immer möglich, zur konkreten Unterstützung des Konvertiten auf.

Autorin dieser Ausgabe: Prof. Dr. Christine Schirrmacher
Stand: Oktober 2007

Literaturhinweise
  • Bassam Tibi. Im Schatten Allahs. Der Islam und die Menschenrechte. Piper: München, 1994 ff.
  • Lorenz Müller. Islam und Menschenrechte. Sunnitische Muslime zwischen Islamismus, Säkularismus und Modernismus. Deutsches Orient-Institut: Hamburg, 1996
Anmerkungen

[1] Saudi-Arabien stellt eine Ausnahme dar und unterzeichnete diese Menschenrechtserklärung nicht.

[2] Die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam wurde zum Beispiel veröffentlicht in: Gewissen und Freiheit Nr. 36, 19. Jg./1991, S. 93-98. Vgl. dazu auch Osman El Hajje. Die islamischen Länder und die internationalen Menschenrechtsdokumente, in: Gewissen und Freiheit 36/1991. S. 74-79, sowie die kritische Analyse von Martin Forstner. Das Menschenrecht der Religionsfreiheit und des Religionswechsels als Problem der islamischen Staaten, in: Kanon. Kirche und Staat im christlichen Osten. Jahrbuch der Gesellschaft für das Recht der Ostkirchen. (Wien). Jg. 10/1991. S. 105-186, sowie die „Allgemeine Islamische Menschenrechtserklärung“ des Islamrates für Europa in Paris vom 19.9.1981 in Cibedo/Dokumentation (Frankfurt) Nr. 15/16, 1982

[3] O. Spies und E. Pritsch. Klassisches Islamisches Recht. 1. Wesen des Islamischen Rechts. in: Handbuch der Orientalistik. Abt. 1. Erg.bd. 3. Orientalisches Recht. E. J. Brill: Leiden, 1964. S. 220-343, hier S. 220. Eine gewisse Ausnahme stellt die Türkei seit Atatürk dar.

[4] Forstner. Menschenrecht. a. a. O. S. 116

[5] Forstner. Menschenrecht. a. a. O. S. 116

[6] Forstner. Menschenrecht. a. a. O. S. 138