Die islamische Wallfahrt
Zu den Fünf Säulen des Islam gehört die Wallfahrt nach Mekka im letzten Monat des islamischen Kalenders. Demnach muss jeder erwachsene Muslim, der körperlich und finanziell dazu in der Lage ist, einmal im Leben das islamische Zentralheiligtum der Kaaba besuchen.
Muslime unterscheiden zwischen der großen (Hadsch) und der kleinen Wallfahrt (Umra), die das ganze Jahr über durchgeführt werden kann. Zur Hadsch strömen jährlich bis zu drei Mio. Muslime aus aller Welt nach Mekka. Für viele ist es der Höhepunkt ihres Lebens als Gläubige.
Aufgrund des gewaltigen Ansturms kam es in den letzten Jahren immer wieder zu tragischen Zwischenfällen: Bei einer Massenpanik in einem Fußgängertunnel wurden 1990 fast 1.500 Menschen tot getrampelt. Im Jahr 2006 starben 362 muslimische Pilger.
Die Kaaba war bereits in vorislamischer Zeit eine zentrale Kultstätte, an der vermutlich viele verschiedene Götter angebetet wurden. Dort soll nach islamischer Tradition bereits Adam die Grundfesten der Kaaba gelegt haben und Ibrahim (so lautet die koranische Bezeichnung für Abraham) später mit seinem Sohn Ismail das „erste Haus Gottes auf Erden“ erbaut haben. Aus islamischer Perspektive war es Muhammads Auftrag, die Kaaba vom Götzendienst zu reinigen und die Religion Ibrahims wiederherzustellen. Ibrahim und Ismail spielen daher in den Wallfahrtsriten, den Predigten und den Gebeten der Pilger eine große Rolle.
Die mehrtägige Wallfahrt besteht aus einer Fülle genau vorgeschriebener Riten, die sich stark an der Abschiedswallfahrt Muhammads orientieren. Nach einem rituellen Reinigungsbad versetzt sich der Pilger zunächst in einen Weihezustand. Der Gläubige legt für die gesamte Zeit der Wallfahrt das weiße Pilgergewand an. Frauen entfernen ihr Make-up, legen den Schmuck ab und bedecken ihre Haare zusätzlich zu dem Gewand mit einem weißen Tuch. Fortan soll sich der Pilger ganz auf Gott konzentrieren. Während der Wallfahrt ist Streit und alles Böse verboten sowie Intimitäten zwischen Eheleuten. Während des Weihezustands versucht der Pilger, sich würdig zu verhalten und alle Vorschriften genau einzuhalten.
Zu den Vorschriften gehören auch zahlreiche Gebete und genau geregelte Besuche der heiligen Stätten. In den Tagen der Pilgerfahrt umkreist der Pilger u. a. siebenmal die Kaaba und versucht dabei, den in die nordöstliche Wand eingelassenen „Schwarzen Stein“ zu berühren oder ihm wenigstens möglichst nahe zu kommen, von dem sich die Gläubigen Segenskräfte versprechen. Beim siebenmaligen Hin- und Herlaufen zwischen den Hügeln as-Sawa und al-Marwa denken die Pilger an Hagar, wie sie nach der islamischen Tradition verzweifelt Wasser suchte, nachdem Ibrahim sie und ihren Sohn Ismail auf seinem Weg nach Mekka in der Wüste zurückgelassen hatte. Die Gläubigen trinken später auch aus der Quelle Zamzam, die der Engel Gabriel schließlich für Hagar und ihren Sohn aus der Erde hervorkommen ließ.
Auf dem sogenannten Berg der Gnade in der Ebene Arafat bitten die Pilger um Vergebung für ihre Sünden und um Schutz vor dem Höllenfeuer. Am folgenden Morgen führen sie in Mina die symbolische Steinigung des Teufels durch. Nach islamischer Tradition soll bereits Ibrahim den Teufel mit Steinen vertrieben haben, als dieser ihn von der Opferung seines Sohnes abhalten wollte. Der Bereitschaft Ibrahims, seinen Sohn zu opfern, gedenken die Pilger am Abend beim Opferfest, das zugleich den Abschluss der Pilgerfahrt einläutet. Dann werden viele Tiere gleichzeitig unter Anrufung Allahs geschlachtet und ein Großteil des Fleisches den Armen gespendet.
Zu Hause wird der Pilger als sog. Hadschi (bzw. Frauen als Hadscha) geehrt. Wer die Pilgerreise in der richtigen Einstellung vollzieht, kehrt laut islamischer Überlieferung „rein von jeder Sünde zurück, als wäre er gerade geboren“. In einer anderen Überlieferung heißt es sogar: „Der Lohn der Pilgerreise ist das Paradies.“ Das Pilgergewand wird aufgehoben und dient später als Leichentuch.
Zahlreiche Pilger berichten im Internet vom intensiven spirituellen Erlebnis dieser Reise. V. a. verweisen sie auf das starke Gefühl der weltweiten Gemeinschaft und Gleichheit aller Gläubigen. Unterschiede in der Hautfarbe, Nationalität, Sprache und der sozialen Herkunft träten in den Hintergrund. Eine junge Frau beschreibt, wie sie sich auf die Gedanken der Liebe und des Friedens konzentriert und die weltlichen Probleme und Gefühle zu Hause gelassen habe. Ein Mann berichtet: „Ein solches Gefühl der stillen Zufriedenheit gibt es nicht oft im Leben.“ In solchen Momenten sei der Muslim „mit sich selbst relativ im Reinen“. Zwischen den Zeilen wird deutlich, dass nicht wenige vor den Lasten des Alltags fliehen und unter der Diskrepanz zwischen dem emotionalen Erlebnis der Pilgerreise und den Herausforderungen und Erfahrungen des Alltags „daheim“ leiden. In den verschiedenen Riten der Pilgerreise und gerade auch in den Gebeten und Selbstzeugnissen der Teilnehmer wird die Suche nach einem beständigen Frieden, bleibender Gewissheit göttlicher Vergebung und einer im Alltag erfahrbaren Überwindung der bösen Mächte deutlich.
Diese Sehnsüchte bieten für Christen wertvolle Anknüpfungspunkte im Gespräch mit muslimischen Pilgern. Immer wieder gibt es sogar Berichte, dass Pilger Jesus im Traum gesehen haben und daraufhin anfangen, in der Bibel nach ihm zu forschen. Gott kann überall Menschen ansprechen, die sich danach sehnen, seinem Sohn Jesus Christus zu begegnen und Gott selbst als Freund kennenzulernen.